Eigentlich ist damit schon alles gesagt, um was es in diesem Song, aber auch im ganzen Album geht. Polarisierung beherrscht unser irdisches Leben, natürlich spielt der Text auf die nicht immer so einfache Beziehung zwischen Mann und Frau an. Die Vielschichtigkeit der weiblichen Persönlichkeit, verbunden mit der so wichtigen Ergänzung von Eigenschaften, die der Mann eben noch nicht ohne weiteres besitzt, bzw. die er erst durch eine Frau (Spiegel des Ichs) an sich kennenlernt.
godess in my garden, sister in my soul ... sister to the boy inside of me
Gemeint ist aber m.E. auch, wie man dem Booklet entnehmen kann, die Polarisierung als Ausdruck der Zwiespaltigkeit unserer Existenz, alles was einem Pol zugewiesen wird erzwingt zum Ausgleich einen Gegenpol (magnetische Pole, Strompole, Yin/Yang, Schraube/Mutter, Note/Pause, Ein-/Ausatmen etc ...).
Hierin spiegelt sich unser seit dem Herausfallen aus der göttlichen Einheit („Paradies“) bestehendes Dilemma der ständigen Ein-Teilung aller Dinge, allen voran Raum und Zeit. Sinnbild für die Unfähigkeit Gleichzeitig zwei Dinge wahrzunehmen ist z.B. eine ambige Figur wie die klassiche Kelch/Köpfe-
Figur
Zurück zum Menschlichen „Dilemma“: Das männliche Wesen wird in seiner Widersprüchlichkeit sehr gut im Mittelteil dargestellt. Eine Textzeile beschreibt jeweils die „Schwächen“ des Mannes, die ihm in Form des weiblichen Gegenübers (counterpart) aufgezeigt werden
my counterpart, my foolish heart...a secret face, a touch of grace...
und die durch vermeintliche „Stärke“ versuchten Abwehrmanöver
a man must learn to rule his tender part...a man must learn to gently dominate...
Diese vergeblichen Versuche des Mannes, seine „weibliche“ Seite zu verleugnen, ist im übrigen in stark hierarchischen bzw. patriarchischen Kulturen so weit perfektioniert worden, daß nur über eine steigende Anzahl von (oft heimlichen) Homosexuellen wieder ein Ausgleich möglich war (versteckte Kompensation des überdominanten männlichen Geschlechts).
Dabei führt letztlich nur die Vereinigung der Gegensätze zum Ziel (wie das körperlich funktioniert, ist wohl jedem klar; seelisch bleibt das eine Lebensaufgabe). Schön symbolisiert durch Winkel (männlich) und Kelch (weiblich) im Hexagramm. Interessant ist, daß das zweite Dreieck nur aus den Kugeleinschnitten im Kopf ergänzt wird. Schöner kann man die geistige Integration der „besseren“ Hälfte nicht symbolisieren.
Die verschiedenen Ausprägungen des Weges dorthin beschreibt wiederum der Refrain sehr gut:
POLARIZE ME ... Gegensätze werden sichtbar
SENSITIZE ME ... Sinne werden geschärft
CRITICIZE ME ... Schattenseiten werden aufgezeigt
CIVILIZE ME ... Zuhören ist Vorraussetzung
COMPENSATE ME ... Negative Energie wird aufgefangen
ANIMATE ME ... Positive Energie wird angefacht
COMPLICATE ME ... Feinere Strukturen werden erkennbar
ELEVATE ME ... Weiterentwicklung ist das Ziel
Begegnung mit dem anderen Geschlecht ist auch immer Begegnung mit dem, was uns heil machen kann auf dem Weg zur Vollkommenheit.
Ein Ketten- oder Gabelblitz, den ihr sicher schon mal mit mehr oder weniger gemischten Gefühlen beobachtet habt. Dieser Blitz steht nicht nur für eine schnelle Verbindung zwischen Wolke und Erde, sondern auch zwischen Beobachter und Objekt bzw. verschiedenen Beobachtern untereinander durch das gleichzeitig Beobachtete.
Es geht also mal wieder um Wetterphänomene, für die Neil so empfänglich ist. Hier ein Ausschnitt aus seinem Kommentar zum Entstehen und der Bedeutung des Songs:
"I'm a weather fanatic - I really love weather, and I watch the weather and look for a good weatherman. And, one night I was watching it, and there are two incidents in that song that are Synchronicity to one weather report, where the weatherman showed a picture of sun dogs, and described them, and they are just two little points of light that appear at sunset, often in the winter when the sky is clear and crystalline, and they are like little prisms, and they sit about ten degrees north and south of the setting sun, and they are just beautiful little diamonds of light, and often times there's a circle of light - one line, that connects them. So they are a really beautiful natural phenomenon, and I love the name too. 'Sun dogs' just has a great sound to it. And in that same weather forecast, the weatherman announced a meteor shower that night, and so my daughter and I went out on the lake in the middle of the night and watched this meteor shower.“ (N.P., songfacts.com)
Diese „Sundogs“ gilt es einmal näher zu beleuchten:
Sun Dogs
The bitter cold gripping the Midwest is generating what are called "sun dogs," an atmospheric phenomenon usually seen only by inhabitants of the polar regions.
Also called mock suns or false suns, sun dogs form when incoming sunlight is refracted through suspended ice crystals in the atmosphere, creating the image of two brilliant spots on either side of the sun.
The phenomenon is common in Arctic regions, but rare in the Midwest. Chicago, Jan. 11 1997(UPI)
Alles klar ? Wunderschön eingefangen wurde dieses Phänomen von Stan Richard auf www.nightskyevents.com. Diese Seite lohnt übrigens einen eigenen längeren Besuch. Oh, und Stan ist – wie sollte es anders sein – auch Rushfan und seine Frau hat einen Lieblingssong: Chain Lightning !!!
© 2004 Stan Richard, stan@nightskyevents.com
Das Neil´sche Universum geht natürlich weit über die bloße Naturbeschreibung hinaus und findet in diesen Phänomenen Augenblicke der Gemeinsamkeit, der Zusammengehörigkeit und der Wiederspiegelung des Einzelnen im Universum. Man muß seine Antennen für „mystic rhythms“ ausfahren, ein „test for echo“ wagen, um die Saiten seiner Seele zum mitschwingen zu bringen ( respond-vibrate-feedback-resonate ).
Es ist das Resonanzgesetz, das letzten Endes uns alle aneinanderschweißt, unsere Umwelt mit uns korrespondieren läßt und uns somit automatisch in eine Verantwortlichkeit für die Natur wie für uns selbst bringt. So wie wir Schwingungen auffangen, senden wir auch aus. Wir teilen Eindrücke und vervielfachen den „Gewinn“ durch gemeinsames Erleben, gemeinsame Freude. Neil drückt das so aus:
„So the whole idea of the song was response and how people respond to things, and it's a thing I've found a lot in traveling around the world, too. It's not enough just to travel and see things. You have to respond to them - you have to feel them, and a lot of the thrust of that song is how things are transferred, like chain lightning or enthusiasm or energy or love are things that are contagious, and if someone feels them, they are easily transferable to another person, or in the case of watching a meteor shower, it's made more special if there is someone else there. 'Reflected in another pair of eyes' is the idea that it's a wonderful thing already, just you and the meteor shower, but if there's someone else there with you to share it, then it multiplies, you know, it becomes exponentially a bigger experience, so response is a theme that recurs in several of the songs and was one of my probably dominant sub-themes in the writing."
Und was machen wir anderes als uns hier im Internet zu treffen, um uns zu sagen, wie gut uns diese Musik von Rush tut. Und was gibt es schöneres, bei allen Meinungsunterschieden, als wenn jemand sagt: mir geht´s genauso, ich seh das auch so.
Reflected in another pair of eyes ... THAT´S NICE !
Wer in der Bibelstunde aufgepaßt hat, kennt die Geschichte aus der Genesis ja. Kleine Auffrischung hier:
Jakob schaut die Himmelsleiter
Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.[...](1 Mose 28, V 10-22)
Guckt man sich dann Neil´s Lyrics an, stellt man fest, daß es hier gar nicht um diese biblische Schilderung sondern um ein Naturphänomen geht.Dies bestätigt auch Neil selbst:
"This song simply describes the phenomenon of the sun breaking through the clouds in visible rays, as it sometimes does after a rain or on a cloudy day. The actual name seems to be one of those traditional names for natural things which has probably been around for ages. I think Geddy actually suggested the idea to me, after hearing his mother-in-law use the name. It had a nice sound to it, and of course the event itself is a beautiful and inspiring one." Neil Peart (Rush Backstage Club newsletter, December 1985)
Neil´s gespaltene Haltung zum Thema Religion ist ja aus den Lyrics hinreichend bekannt. Nimmt man religio (Rückverbindung) wörtlich, ist es aber ohnehin egal, welche Art der Quelle man anzapft, um inspiriert zu werden. Bei dem Einen ist es eben die Bibel, beim Anderen ein Naturphänomen.
Das sog. „crepuscular light“ wird auch als „Jacob´s ladder“ bezeichnet und beschreibt die sichtbaren Strahlen in Form von Bahnen das Sonnenlicht reflektierender Teilchen, meist stark ausgeprägt bei schrägem oder gebündeltem Lichteinfall durch Wolkenränder / -lücken. Diese können nach unten, teilweise wie ein spotlight, aber auch nach oben „fallen“.
In Bayern sagen manche Ureinwohner auch: „D´sunn laßt d´fiaß hänga“ und sogar die Japaner haben diese Himmelserscheinung für eine ihrer Flaggen verwendet.
Ob man nun das Bild der Bibel als Traumvision oder als unerklärtes Himmelsphänomen hinstellt, es geht m.E. letztlich um die Tatsache, daß Hoffnung (Licht) durch eine undurchdringliche niederdrückende Stimmung (Tief, Wolkendecke) durchscheint.
Die shifting shafts of light sollen denn wohl auch die auf- u. absteigenden Engel symbolisieren, um dem naturwissenschaftlichen Denker eine Erklärung abseits jeder Metaphysik zu liefern.
Musikalisch rahmt sich um den Text ein spannender Einleitungsteil mit marschartigen Rhythmen über relativ lange Instrumentalvariationen dieses Themas bis hin zu der schönen Passage, wo sich das Licht seine Bahn ebnet All at once the clouds are parted. Das erinnert mich ein wenig - wenn auch weit hergeholt - an die Stelle „und es ward Licht“ in Haydn´s „Schöpfung“.
Tatsächlich ist die Musik hier nicht absolut zu sehen, sondern wie bei einer „sinfonischen Dichtung“ durchaus auch als Darstellung der Vorgänge in der Natur. Zumindest lese ich dies aus der Entstehungsgeschichte:
Zumindest lese ich dies aus der Entstehungsgeschichte:
In the April, 1980 issue of Sounds magazine, Neil explained how the song was written: "Whereas most of the ideas we were dealing with this time were on the lesser side, and in some cases, like in 'Jacobs Ladder,' looked at as a cinematic idea. We created all the music first to summon up an image -- the effect of Jacob's Ladder -- and paint the picture, with the lyrics added, just as a sort of little detail, later, to make it more descriptive."
Second Nature
„Second nature“, zweite Natur, ist häufig die Bezeichnung für Umweltprojekte, die Schaffung einer „neuen Erde“ aus verantwortlichem
Daß sich da gerade bei denen , die kräftig am Rad der Geschichte drehen, leicht Konflikte zwischen dem Han-deln im globalen Zusammenhang und den lokalen Interessen ergeben (think global, act local oder umgekehrt ?) zeigt auch Neil´s Quote zum Song:
"Second Nature" is conciliatory in its message: If we can't reach perfection in this world, then let's at least settle for some degree of improvement.
Es geht also – wie bei Neil ja des öfteren – um Zivilcourage verbunden mit der richtigen Einschätzung, wann Handeln angebracht ist und wann Kompromisse eingegangen werden müssen. Wichtig ist, daß man nicht die Augen vor Dingen verschließt, die uns alle angehen
"Now I lay me down in dreamland."
Diese Phrase hat Neil einem Gebet entnommen:
It is based on an 18th century children's bedtime prayer. Says Peart, "More a paraphrase than a quote, really, but it comes from a prayer which was stitched into a sampler above my grandmother's bed. It began like this: 'Now I lay me down to sleep, I pray the Lord my soul to keep...'"(1994 Rush Backstage newsletter, N.P.)
In Zeiten ökonomischer Anspannung wandern Umweltthemen leider oft in die unterste Priorität ab, mit dem Argument der zunächst sich nicht „amortisierenden“ Kosten. We're both too busy to be taking the blame
Daß jeder Einzelne dennoch etwas in seinem Umfeld tun kann, fängt bei sparsamem Verbrauch an und hört bei Müllvermeidung auf.
„Second nature“ ist ein mehrdeutiger Songtitel (auch keine Seltenheit bei Rush), schließlich bedeutet es auch, daß Dinge in Fleisch und Blut übergehen:
(idiomatic) habit; somehting that comes naturally, automatically, or without conscious thought. „After enough practice, driving a car becomes second nature.“ (wikipedia.org)
Somit schließt sich der Kreis von der Umwelt zur eigenen Verantwortlichkeit, die Umwelt ist unser Spiegel, so wie wir mit uns umgehen, verändert sich auch unsere Umwelt. Neil´s gedanklicher Wunsch ist es also, daß wir uns der Verantwortung für unsere Umwelt derart bewußt werden, daß wir nicht groß nachdenken müssen, sondern in diesem Bewußtsein handeln. Jeder sollte bei sich erkennen, wo er schon gedanklich das Problem miterschafft, gegen das er im großen Stil kämpft „we fight the fire, while we´re feeding the flames“
Wir brauchen so etwas wie eine Sehnsucht nach dem Paradies, ohne die wir in Hoffnungslosigkeit und Lethargie versinken...